Im Mittelalter konnten Tiere vor Gericht genauso wie Menschen verhandelt werden; im 21. Jahrhundert werden sie vielleicht einen Sitz und einen Vertreter in der Nationalversammlung haben. Seit 2017 ist der Whanganui-Fluss in Neuseeland das erste nichtmenschliche Wesen, das einen Rechtsstatus besitzt, dicht gefolgt von den Flüssen Ganges und Yamuna in Indien im selben Jahr.
Durch die Gründung eines ihr gewidmeten Parlaments würde die Loire der erste Fluss in Europa werden, der demokratisch vertreten wird. Diese Idee, die vom POLAU (Pôle arts & urbanisme) in Tours im Rahmen der 500-Jahr-Feier der Renaissance mit dem Projekt „Génies génie“ über die Verwertung von Abfällen und die Energiewende in den Gebieten angeregt wurde, hat die Region Centre-Val de Loire, CICLIC (regionale Agentur des Zentrums für Buch, Bild und digitale Kultur), die Mission Val de Loire und den Verein COAL art et écologie zusammengeführt.
Unter der Leitung des Juristen und Autors Camille de Toledo haben in vier öffentlichen Anhörungen Wissenschaftler, Philosophen wie Bruno Latour, Vordenker des Parlaments der Dinge, Juristen, aber auch Binnenschiffer und Fischer über die Schaffung dieser Institution nachgedacht, die vor allem die Loire gegen Umweltverschmutzer verteidigen soll. Laut Apolline Fluck, die bei POLAU für die Ressourcen Kunst und Territorien und Kommunikation zuständig ist, „ist dies eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen der Erhaltung der Biodiversität […], indem die Interessen aller lebenden und nicht lebenden Einheiten des Flusses mit einer systemischen Vision vertreten werden“.
Wie und durch wen soll der Fluss vertreten werden? Was sind die Ziele und die Funktionsweise des Parlaments? Welche nicht-menschlichen Interessen gilt es dringend zu verteidigen? Die Bürger sind eingeladen, sich über eine Facebook-Seite an diesen Überlegungen zu beteiligen, deren erste Schlussfolgerungen dem nationalen Parlament 2020, im Jahr des 20-jährigen Jubiläums der Ernennung zum UNESCO-Weltkulturerbe, übergeben werden sollen. Mit dem Loire-Parlament entsteht die Hoffnung auf ein gemeinsames Schicksal aller Lebewesen.